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Verhältnisse vom 25.07.2006

Mont Blanc Normalweg - Solo

Hochtour
Vorabend: Der etwas rustikale, doch kostengünstige (knapp 8 Euro für 1 Person/Zelt/Auto) Campingplatz "Bellevue" in Les Houches bei Chamonix lag zwar strategisch günstig nur 5 Gehminuten von der Talstation der gleichnamigen Seilbahn hinauf zur Mittelstation der Mont-Blanc-Zahnradbahn...da gegen ein Uhr morgens ein tschechischer Bus ankam und an die 60 Zeltler ausspuckte, die erst noch ihre 30 Zelte aufschlugen und dann noch ausgiebig palaverten, war jedoch an erholsamen Schlaf nicht zu denken.
Doch Unausgeschlafene haben Glück: Mit 2 Telefonaten gelingt es mir, einen Schlafplatz sowohl auf der Tete- Rousse-Hütte als auch auf der Gouter-Hütte zu reservieren. Auffahrt mit Bellevue-Seilbahn, dann Mont-Blanc-Zahnradbahn zum Nid d`Aigle (2372 m) und zu Fuß hoch zum Schutzhaus Tete Rousse (3167 m) in gemütlichen 3 Std. Diese "Rotkopf"-Hütte wurde erst vor 2 Jahren mit einem Kostenaufwand von 1,800.000 Euro anstelle der alten Hütte neu hingebaut und ist mit ihren 72 Schlafplätzen und einem schönen Panorama-Speise-Aufenthaltsraum viel komfortabler und weniger überfüllt als die Gouter-Hütte. Ideal für meine Akklimatisierung, Frühstück um 7 Uhr, dann langsam, langsam, immer zwecks besserer Akklimatisierung, auf den Weg hoch zur Gouter-Hütte. "Da hinauf müssen Sie unbedingt einen Helm tragen!" informiert mich die freundliche Hüttenwirtin, und da ich meinen im Auto zurückgelassen habe, leiht sie mir kostenlos einen Helm.
Nach ca. 20 Steigminuten erreiche ich den Grand Couloir, ein Drahtseil sichert die Überquerung, doch es zieht so hoch durch die Luft, dass ich 3 Bandschlingen an meinen Schraubkarabiner knüpfen müsste, um mit Boden unter den Füssen zu queren. Anderfalls, mit normal langer Bandschlinge oder Reepschnur, müsste man sich, vom Drahtseil in die Luft hochgezogen, mit Armmuskelkraft hinüberhangeln. Dann doch besser, wie meist empfohlen, etwas höher steigen und den Couloir ungesichert überqueren, doch ich sehe keinen Steig...Ein Hoilländer quert vor mir, hangelt sich, Beine in der Luft, am Drahtseil hinüber, da entsetzte Schreie von oben, und plötzlich bricht die Hölle los. Steine,faustgroß, kopfgroß, sausen durch die Luft wie aus Kanonen geschossen, und eine Lawine aus Schnee, Eis, Erde, Schlamm, Stein und Felsen rauscht mit ohrenbetäubendem Getöse die gefürchtete Steilrinne hinunter. Ich suche Schutz hinter überhängenden Felsen am Rand des Couloirs -wie bin ich froh um den Helm!
Nach 15 Minuten hat sich der Spuk gelegt, jetzt endlich sehe ich die -unmarkierte!- Spur für die ungesicherte Couloir-Überquerung ca. 15 Meter oberhalb des Drahtseils, hier ist die Rinne auch schmäler und ich haste durch so schnell mich die Beine tragen und mein Herz schlagen können. Wenig später kreisen Hubschrauber über den oberen Teil der Steilrinne -ein ganzer Felsturm sei weggebrochen, drei Verletzte, höre ich von entgegenkommenden Bergsteigern. Der Couloir, aber auch der ganze darauf folgende Aufstieg zur Gouter-Hütte über steilschrofiges, sehr brüchiges, wenn auch zu einem großen Teil mit Drahtseilen gesichertes Felsgelände ist sehr steinschlaggefährdet (auch die Nacht -ich hörte gegen 3.30 Uhr morgens eine größere Steinschlaglawine niedergehen!- und der frühe Morgen bieten keine Sicherheit) und stellt gewiss den gefährlichsten Teil der Mont-Blanc-Normalwegbesteigung dar.
Das "Refuge de l`Aiguille du Gouter" ist mit 3817 m nicht nur das höchste, sondern wahrscheinlich auch, zumindest von Mitte Juli bis Ende August, das überfüllteste Schutzhaus Frankreichs. Die 100 Schlafplätze in mehreren Matratzenlagen sind natürlich voll belegt, weitere gut 100 Bergsteiger ohne Reservierung nächtigen zwischen 20 Uhr (Bettruhezeit) und kurz vor 2 Uhr (Frühstückszeit für Mont-Blanc-Besteiger) in den Gängen, auf und unter den Bänken und Tischen, die meisten müssen mangels Platz im Sitzen zu schlafen versuchen. Hoffentlich werden die bereits bei der Gemeinde St. Gervais liegenden Pläne zum Ausbau des Refuge auf 140 Schlafplätze bald verwirklicht! An Sprachen hört man überwiegend Tschechisch, Polnisch, Slowakisch (alle Selbstversorger), im Abstand gefolgt von Französisch, Spanisch...und Deutsch. Übrigens: In den beiden dem Französischen Club Alpin gehörenden Schutzhäusern bekommen Alpenvereinsmitglieder auf den Nächtigungspreis 50 % Ermässigung, nicht hingegen auf Essen und Trinken -Vereinsausweis muss jedoch vorgelegt werden!
Ich breche alleine um 3 Uhr morgens zum Gipfelsturm auf, vor mir schon eine lange Lichterkette von Stirnlampen, vorbei an gut zwei Dutzend Kleinzelten von Osteuropäern, die hier illegal (der Mont Blanc ist Naturschutzgebiet, nur beim "Tete Rousse" ist Zelten gegen Anmeldung offiziell erlaubt)in den 15 cm Neuschnee zelten, die es in der Nacht gelegt hat.
Die Spur ist gut und breit, sie führt über drei Gletscherspalten (die erste, vom Schutzhaus aus gesehen, ist die größte), die ich alleine ohne Angst und große Sprünge überquere. Beim Vallot-Biwak (4362 m)dämmert der Morgen -Achtung, das Biwak ist bis zum 31. Oktober wegen Renovierungsarbeiten geschlossen!!! Auf dem schmalen Bosses-Grat ist die Spur fest und tief, das Ausweichen mitunter etwas lästig...doch wenn Du die nötige Gelassenheit bewahrst (schliesslich weisst Du ja, dass Du am Mont Blanc nicht alleine bist und Gegenverkehr haben wirst)kostet es Dich nur ein freundliches Lächeln, das meist ein ebenso charmantes Gegenlächeln erntet.
Um 7.50 Uhr stehe ich dann zusammen mit ca. 20 anderen Bergsteigern am Gipfel, oder, besser gesagt, auf der großen weißen Kuppe des höchsten Berges Westeuropas. Ich lasse mich mit meiner Minox fotografieren und fotografiere andere mit deren Digitalkameras, ein Paraglider macht seinen Schirm flugbereit, ein Deutscher lässt sich im Kopfstand mit Steigeisen ablichten, alle sind euphorisch. "Ich komme bereits zum fünften Mal hier herauf, die anderen Male gab`s immer Wind und Kälte, so schön und sonnig wie heute war`s noch nie!" jauchzt ein älterer Franzose.
Auf dem zweistündigen Rückweg zum Gouter freue ich mich über die vielen, die jetzt noch -bei dem Kaiserwetter problemlos, doch bei sonst jederzeit möglichem Wetterumschlag wenig umsichtig- hochsteigen. Nur im Grand Couloir nehme ich wieder meine Beine in die Arme...
Relativ leichte Tour (PD-)und zumindest bei gutem Wetter auch von Sologehern problemlos zu meistern. Achtung jedoch auf gute Akklimatisierung (eine Übernachtung auf der Tete-Rousse-Hütte bietet sich in idealer Weise dazu an) und auf Steinschlag auf der ganzen Strecke zwischen Tete Roussse und Gouter (Kletterhelm unbedingt aufsetzen!)

Routeninformationen

Mont Blanc Normalweg - Solo

Letzte Änderung: 03.08.2006, 02:10Aufrufe: 631 mal angezeigt

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